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Mag. Monica Rintersbacher, Geschäftsführerin Leitbetriebe Austria im Gespräch mit Family Business Experte Dr. Christian Fuchs, MBA

Familienbetriebe sind ein geniales Konstrukt und das Rückgrat der heimischen Wirtschaft. Schnell, wendig und ideenreich. Fakt ist auch, dass zwei Welten aufeinandertreffen und dies kann zu Spannungen führen. Familie und Unternehmen müssen sich im Einklang befinden und es gilt, zeitgerecht dafür Vorkehrungen zu treffen.

Debatten über Probleme sind für Unternehmen und Familie sehr belastend und können in der Krise enden. Es bedarf eines Regelwerks, das ganz klar diese Punkte behandelt und auch einen Wegweiser für Konflikte zur Verfügung stellt.

Gut achtzig Prozent der heimischen Betriebe sind Familienunternehmen und dennoch schaffen nur knapp fünf Prozent die Übergabe von der dritten an die vierte Generation. Das bekannte Vorurteil „Der Vater erstellt’s, der Sohn erhält’s, dem Enkel zerfällt’s“, bestätigt sich nur allzu oft.

Es gilt, sich rechtzeitig über das Verhältnis „Familie und Unternehmen“ Gedanken zu machen und in Form einer Familienverfassung zu regeln.

Monica Rintersbacher: Die österreichische Wirtschaft ist stark von Familienunternehmen geprägt. Annähernd einhundertsechzigtausend Betriebe werden Familien zugeordnet und diese beschäftigen knapp zwei Millionen Menschen mit einem Umsatzvolumen von mehr als vierhundert Milliarden Euro. Die Bandbreite der Familienunternehmen reicht vom kleinen Handwerksbetrieb bis hin zum weltweit erfolgreichen Großkonzern. Das es natürlich Verträge braucht um all die Vorgänge, die sich im geschäftlichen Alltag ergeben, liegt auf der Hand. Seit geraumer Zeit taucht immer wieder das Konstrukt der Familienverfassung auf. Was darf man darunter verstehen?

Christian Fuchs: Sie haben vollkommen Recht. Es versteht sich von selbst, dass ein Unternehmen nach vorgegebenen und vereinbarten Regeln zu führen ist. Führung, Kontrolle und Berichterstattung sind beispielhaft fixe Bestandteile eines guten Managements. Die Statistik belegt jedoch, dass zwanzig Prozent der Probleme aus fachlichen und sachlichen Themen resultieren, während achtzig Prozent der Schwierigkeiten aus persönlichen und emotionalen Beweggründen herrühren. Um langfristig das Bestehen des Familienunternehmens abzusichern gilt es, diese Regelung, die für das Geschäft als Grundbedingungen angesehen werden, auch für die Familie zu schaffen. Ein darauf ausgerichteter Governance-Kodex der letztendlich in der Familienverfassung seine Etablierung findet, bietet dafür die zukunftsweisende Richtlinie.

Monica Rintersbacher: Auf den Punkt gebracht. Was ist eine Familienverfassung?

Christian Fuchs: Die Familienverfassung ist eine von allen Mitgliedern einer Unternehmerfamilie gemeinsam ausgearbeitete und im Konsens beschlossene schriftliche Zusammenfassung von Absichten, Zielen, Werten, Regeln und Verhaltensnormen. Sie erfasst unter anderem die Rolle der Familie im Unternehmen, deren Rechte und Pflichten sowie Verhaltensregeln für den Umgang mit Familien- und Unternehmensangelegenheiten. In den USA, Deutschland und auch in der Schweiz gehört die Familienverfassung zur Grundausstattung von Familienbetrieben.

Monica Rintersbacher: Familienunternehmen verfügen über unglaubliches Potential an Leistungsstärke. Dennoch tauchen aus anfangs unerklärlichen Gründen Probleme auf. Woran kann das liegen?

Christian Fuchs: Die Vorteile von Familienunternehmen, wie etwa flache Hierarchien, kurze Entscheidungswege, personelle Kontinuität, ausgeprägtes Kosten-Nutzen-Denken, Verlässlichkeit gegenüber Kunden und Geschäftspartnern, starke Identifikation mit dem Unternehmen nach innen wie nach außen, besonderes Gefühl der Verantwortung gegenüber Belegschaft und Region sowie ein spezielles „Gespür“ für Marktchancen können leider von den Nachteilen allzu schnell zunichte gemacht werden.

Geschäftsführende Gesellschafter überwerfen sich, Stämme führen Grabenkriege, Nachfolgeregelungen werden blockiert, Zersplitterung und keine Einheit der Familie, Entfremdung, Individualinteressen vor der gemeinsamen Sache, Neid und Missgunst, Spannungen zwischen Gefühl und Vernunft, man denke nur an die möglichen Differenzen zwischen Vater und Sohn beziehungsweise Tochter, Aussitzen von Problemen bis hin zum Krieg „jeder gegen jeden“.

Während die Familie für Emotionalität, Solidarität und Gleichbehandlung steht, müssen im Unternehmen die Rationalität, Leistung und Hierarchie den Ton angeben.

Es ist daher ganz wichtig, rechtzeitig all die relevanten Punkte im Einklang zu regeln. Die Familienverfassung ist dafür ein nachweislich geeignetes und bewährtes Instrument.

Monica Rintersbacher: Familienbetriebe sind für Ihr Kosten-Nutzen Denken und Handeln sehr bekannt und das macht sie auch so erfolgreich. Daher nun meine Frage: Was ist der Nutzen einer Familienverfassung?

Christian Fuchs: Für die Familie steht klar der emotionale Nutzen im Vordergrund. Bereits der Prozess der gemeinsamen Erarbeitung stärkt den Zusammenhalt der Familie, fördert die Identifikation mit dem Unternehmen, dient der Konfliktprävention und trägt dazu bei den Familienfrieden zu sichern.

Auch das Unternehmen profitiert von einer gestärkten und geeinten Unternehmerfamilie, welche ihre Wirkung sowohl nach innen gegenüber dem Management, den Mitarbeitern und falls gegeben auch den Aufsichtsorganen, als auch nach außen bei den Kunden, Lieferanten, Partner, der Gesellschaft im allgemeinen und der Region entfaltet. Der Wettbewerbsvorteil „Familienunternehmen“ wird spürbar. Klare Rahmenbedingungen und Zielvorgaben geben dem Management und den Stakeholdern Struktur.

Außerdem kann dies die Attraktivität des Unternehmens für qualifizierte Führungskräfte deutlich steigern. Eine renommierte Studie besagt ganz eindeutig: Eine Familienverfassung macht Unternehmen erfolgreicher! Der emotionale und ökonomische Wert des Familienunternehmens wird durch die Familienverfassung nachweislich gestärkt.

Monica Rintersbacher: Gibt es den sprichwörtlichen idealen Zeitpunkt ab wann eine Familienverfassung Sinn macht?

Christian Fuchs: Die Familie und das Unternehmen müssen sich im Einklang befinden. Die größten Gefahren in Familienunternehmen sind die beginnende Entfremdung, Nachfolgeregelungen und schwelende Konflikte. Unternehmerfamilien sollen nicht warten, bis der sprichwörtliche »Hut brennt«.

Meist ergibt sich der Bedarf nach einer Familienverfassung bei zunehmender Komplexität der Familie und des Unternehmens, sowie wachsender Anzahl der Familienmitglieder. Zu diesem Zeitpunkt bildet sich auch häufig ein „Stammesdenken“, welches den Zusammenhalt der Unternehmerfamilie gefährden kann. Die rechtzeitige Ausarbeitung einer Familienverfassung kann diesem frühzeitig entgegenwirken.

Besonders bei kleinen oder jungen Unternehmen ist oftmals Unklarheit innerhalb der Familie bezüglich einer anstehenden Nachfolge der Grund für den Wunsch nach einer Familienverfassung. Auch wachsendes Desinteresse und Entfremdung der Familienmitglieder vom Unternehmen können das Anliegen hervorbringen, die Unternehmerfamilie mittels einer Familienverfassung zu vereinen und zu stärken.

Monica Rintersbacher: Wir leben in einer Zeit wo fast alle Verträge und Vorlagen über das Netz herunterzuladen sind oder Apps die benötigten Leistungen anbieten. Gibt es eine Vorlage für eine Familienverfassung?

Christian Fuchs: Die Familienverfassung und bereits der Prozess der Ausarbeitung, sind so individuell wie die Unternehmerfamilie selbst. Sie behandelt die speziellen Themen, die die Familie und ihr Unternehmen betreffen und spiegelt die einzigartige Identität einer jeden Unternehmerfamilie wider.

Aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen, wie z.B. Werte, Kulturen und Ziele ist es nicht zielführend, eine „vorgefertigte Schablone“ für die persönliche Familienverfassung anzuwenden. Um alle Anliegen und Vorstellungen der einzelnen Familienmitglieder objektiv in die Ausarbeitung der Familienverfassung einfließen zu lassen, gilt es, die richtigen Fragen zu stellen und auch „Tabuthemen“ und Stolpersteine anzusprechen. Deshalb sollte der Prozess nicht selbst gesteuert, sondern professionell begleitet und moderiert werden.

Monica Rintersbacher: Ob kleines oder großes Unternehmen. Es sind in der Regel gesellschaftsrechtliche Verträge vorhanden die eigentlich alles regeln sollten. Wird dennoch eine Familienverfassung benötigt?

Christian Fuchs: Die Familienverfassung ist weitläufiger als gesellschafts- und erbrechtliche Verträge, denn sie setzt viel breiter an, nämlich bei der gesamten Unternehmerfamilie, während Gesellschaftsverträge sich lediglich auf die Eigentümerebene beschränken. Grundsätzlich ist eine Familienverfassung nicht rechtlich bindend. Die Familienverfassung ist auch in einer verständlichen Sprache gefasst. Kein „Juristendeutsch“ sondern so, dass dabei auch die emotionale Ebene nicht zu kurz kommt und allen Familienmitgliedern klar ist, was damit gemeint ist.  Jedoch ergeben sich oftmals im Zuge der Ausarbeitung Anregungen und Impulse für die Änderung und Anpassung sonstiger Verträge. Es steht außer Zweifel, dass die anschließenden Verträge in einer ordentlichen und rechtskonformen juristischen Fachsprache verfasst werden müssen. Dazu sind dann die Rechtsanwälte und Notare des Vertrauens aufgerufen. Insofern wirkt eine Familienverfassung oft als „Motor“ für Erneuerung und Adaption und dient somit der Stärkung der Handlungsfähigkeit des Familienunternehmens als Ganzes.

Monica Rintersbacher: Was sind die typischen Inhalte einer Familienverfassung und was passiert nach der Erarbeitung? Wir geht es dann weiter?

Christian Fuchs: Die Inhalte können mitunter stark variieren, das Spektrum reicht von den sogenannten „weichen“ Regelungen und Verhaltensnormen bis hin zu detaillierten Ausformulierungen der Organisation der Unternehmerfamilie, einschließlich ihrer Aufgaben und Pflichten.

Vorab gilt jedoch erst einmal zu klären, wer überhaupt Teil der Unternehmerfamilie ist. Speziell bei größeren Familien ist auch die Frage der Identität der Unternehmerfamilie zu klären. In der Folge wird dann an dem gemeinsamen und individuellen Rollenverständnis gearbeitet, die Bindung zum Unternehmen, Werte und Ziele, sowie Kommunikation und Information werden definiert.

Darüber hinaus spielen Verhaltensregeln, der Umgang mit Konflikten und bei Bedarf die soziale Verantwortlichkeit und diese ist vergleichbar mit einer Corporate Social Responsibility, bei der Erstellung einer Familienverfassung eine wichtige Rolle.

Monica Rintersbacher: Wer wirkt an der Erstellung der Familienverfassung mit?

Christian Fuchs: Die Familiengesellschafter, als auch die involvierten Familienmitglieder sind dazu gemeinsam eingeladen diesen Weg einzuschlagen. Ist der Prozess der Erarbeitung abgeschlossen, wird die Familienverfassung feierlich von allen Mitgliedern unterzeichnet und somit anerkannt. Die ausgearbeitete Familienverfassung ist der krönende Abschluss.

Der Prozess bis dahin ist aber der wesentliche Bestandteil am Weg zur harmonischen Partnerschaft von Familie und Unternehmen. Jedoch ist es von äußerster Wichtigkeit, die gemeinsam formulierten Werte, Ziele und Regeln auch aktiv vorzuleben und die Familienverfassung gemäß der dynamischen Entwicklung der Familie und des Unternehmens laufend zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

Dies schafft ein Fundament für erfolgreiches Unternehmertum, auch für zukünftige Generationen. Ich darf das immer wieder miterleben und dies ist ein wichtiger Schritt in eine gute und vielversprechende Zukunft.

Monica Rintersbacher: Wenn sich nun eine Familie entschließt diesen Weg einzuschlagen, was sind die ersten Schritte um sich für eine Familienverfassung fit zu machen?

Christian Fuchs: In einem Treffen mit der Familie können die Erwartungen an das Projekt als auch der zeitliche Rahmen abgeklärt werden. Es folgen danach Einzelgespräche mit allen Familienmitgliedern. Diese dienen der Bestandsaufnahme und zeigen individuelle Wünsche und Ziele, sowie bestehende Abkommen und Regeln auf.

Die Ergebnisse aus der Bestandsaufnahme werden im Rahmen moderierten Familienworkshops bearbeitet und ausgewertet. Hier kommen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der persönlichen Meinungen zur Sprache. Themen wie Geschichte, Werte, Visionen, Person, Familie oder Unternehmen stehen hier im Vordergrund. Ein wichtiger Teil des Prozesses ist das Ansprechen und Aufarbeiten von „Brennpunkten“ innerhalb der Familie. Meine Objektivität und die mitgebrachte Erfahrung in der Bearbeitung von Familienverfassungen helfen, verhärtete Fronten anzunähern und einen gemeinsamen Konsens zu erreichen.

Im nächsten Schritt werden aus den gesammelten Meinungen der Familienmitglieder die relevanten Themenbereiche in den Klausurworkshops in abgestimmten Arbeitsgruppen behandelt. Es gilt, die Positionen der Familienmitglieder zu überprüfen und die unterschiedliche Meinungsgruppen zusammenzuführen.

Am Ende werden alle Ergebnisse aus den Klausurworkshops in eine schriftliche Form gebracht und als Entwurf der Familie vorgelegt. Es folgt danach eine Feinabstimmung und die finale Version der Familienverfassung wird von allen Mitgliedern unterzeichnet und somit anerkannt. Der gesamte Prozess dauert zwischen sechs Monaten und gut einem Jahr und ich rechne mit drei bis maximal acht Workshops.

Vielen Dank für das Gespräch!